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18.03.2022

100 Tage Ampel

Aller Anfang ist schwer, heißt es. Und gleichzeitig gelten die ersten 100 Tage für eine neue Bundesregierung eigentlich als Schonzeit. Doch diesmal ist das Gegenteil der Fall. Denn die rot-grün-gelbe Ampelkoalition ist im Corona-Krisenmodus gestartet, mit steigenden Energiepreisen am Horizont und dann kam der Putin-Krieg in der Ukraine. Und der hat uns in eine ganz neue Zeit  katapultiert, die überwunden schien. Vor diesem Hintergrund müssen die ersten 100 Tage in dieser Zeit zwangsläufig ganz anders bewertet werden.

Die Corona-Pandemie  ist heute längst noch nicht überwunden, die Infektionszahlen steigen in schwindelerregende Höhen. Vor diesem Hintergrund geht es uns darum, vor allem die vulnerablen Gruppen der älteren und vorerkrankten oder behinderten Menschen zu schützen – und gleichzeitig unser Gesundheitssystem nicht zu überlasten. Deshalb sind wir mit der aktuellen Ausgestaltung des Infektionsschutzgesetzes nicht wirklich zufrieden. Hier konnten wir uns nicht gegen FDP und SPD durchsetzen. Hätten wir aber nicht dafür gestimmt, gäbe es jetzt überhaupt keine Schutzmaßnahmen mehr. Damit bleibt auch die Impfpflicht – und zwar einrichtungsbezogene und allgemeine – weiterhin ein wichtiges Thema, um die Impfquote zu erhöhen. Denn niemand kann vorhersehen, wie sich die Pandemie im Herbst entwickeln wird. Niemand weiß, ob es neue Varianten geben wird. Deshalb müssen wir alles dafür tun, damit es nicht wieder Einschränkungen des öffentlichen Lebens geben muss, weil nicht genügend Menschen bei uns geimpft sind.

Doch die Pandemie ist nur eine der Krisen, die wir als Ampel bewältigen müssen. Inzwischen gibt es Krisen, die unseren Koalitionsvertrag heftig aushebeln. Mit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine ist der nämlich in Teilen Makulatur. Die Ampel ist als Modernisierungskoalition angetreten. Inzwischen müssen wir als drei neue und sehr unterschiedliche Partner:innen nicht nur als Modernisierungstreiber Kurs halten, sondern auch als Krisenmanager:innen. Denn alte Gewissheiten haben seit dem 24. Februar plötzlich keinen Bestand mehr und müssen in völlig neuem Licht betrachtet werden. Putins grausamer Krieg in der Ukraine hat die europäische Friedensordnung und die internationale Sicherheitsordnung angegriffen. Es ist ein Angriffskrieg mitten in Europa – gegen die Freiheit und Demokratie in der Ukraine.

Diese Zeitenwende ist nicht einfach über uns gekommen. Sie war auf offener Bühne für alle sichtbar, die hinschauen wollten. Georgien 2008. Krim und Donbass 2014. Dann die Gaspipeline Nord Stream 2, die der Bundeskanzler noch im Dezember als privatwirtschaftliches Projekt bezeichnete. Heute geben alle zu, was wir schon lange angemahnt haben, dass dieses Projekt die Energiesicherheit Europas weiter gefährden würde. Inzwischen ist klar, dass wir für Europa eine neue Sicherheitspolitik brauchen. 100 Milliarden Euro will der Bundeskanzler für die Aus- und Aufrüstung der Bundeswehr kurzfristig bereitstellen. Es stimmt schon, unsere Sicherheit muss uns mehr wert sein, und dazu gehört natürlich auch eine gut ausgestattete Bundeswehr. Doch echte Sicherheit bedeutet mehr als nur ein höherer Verteidigungsetat und deshalb braucht es auch deutlich mehr Mittel für Cybersicherheit, für aktive Diplomatie und humanitäre Hilfe, für die Entwicklungszusammenarbeit und insbesondere für Energiesouveränität.

Wenn wir Grüne die Waffenlieferungen an die Ukraine unterstützen, dann tragen wir der bitteren Realität Rechnung. Wir Grüne, und alle anderen auch, müssen auf zwei Beinen gehen: das nun Notwendige tun und gleichzeitig unsere weiter reichenden Ziele verfolgen. Denn bei der Friedenspolitik geht es natürlich um Waffen, aber auch um Klimaschutz, Menschenrechte, internationale Gerechtigkeit und Energiesicherheit.

Die Klima- und Energiekrise, die vom Krieg noch befeuert wird, macht den Umstieg auf die Erneuerbaren dringender als je zuvor. Und die jahrzehntelangen Versäumnisse in der Energie- und Klimapolitik sind heute offenkundiger denn je. Durch den Krieg in der Ukraine stellen mittlerweile alle fest, dass unser Land aufgrund einer verfehlten Energiepolitik in der Vergangenheit in einer fossilen Abhängigkeit steckt, die unseren Handlungsspielraum jetzt enorm einschränkt. Es ist für niemanden ein Geheimnis, dass wir Grünen seit langer Zeit für die Erkenntnis streiten, dass Energiewende und Klimaschutz auch sicherheitspolitische Fragen beantworten. Deshalb ist es jetzt so überfällig, dass wir in Deutschland täglich unabhängiger von Öl, Kohle und Gas werden.

Bereits vor dem Krieg in der Ukraine ist der Energiepreis stark gestiegen – der Grund: Spekulation und die sprunghafte Nachfrage nach fossilen Energien. Schon zu dieser Zeit sagte Minister Habeck: „Die Erneuerbaren Energien sind nicht das Problem, sondern sie sind die Lösung. Nur wenn wir die Abhängigkeit von fossiler Energie überwinden, können wir den Inflationsdruck nachhaltig begrenzen. Es werden die Erneuerbaren sein, die künftig die Versorgungssicherheit herstellen und uns verlässlich und günstig mit Strom versorgen.“ Notwendig wurde ein Entlastungspaket. Das natürlich auch nicht im Koalitionsvertrag verankert war. Uns war dabei insbesondere die Entlastung der Menschen wichtig, die bei hohen Energiekosten aufgrund eines kleinen Einkommens besonders stark unter Druck kommen. Für Menschen mit wenig Einkommen gibt es einen Heizkostenzuschuss, der jetzt nochmals auf 270 Euro verdoppelt wurde. Für erwerbslose Menschen gibt es in einem ersten Schritt eine Einmalzahlung in Höhe von 100 Euro. Und als erster Schritt zur Kindergrundsicherung werden zudem Familien und Alleinerziehende mit geringem Einkommen 20 Euro pro Kind und Monat zusätzlich erhalten, und zwar schnell und unbürokratisch, als dauerhafte und verlässliche Hilfe für rund 2,7 Millionen Kinder.

Und last but not least wird zum Oktober endlich der Mindestlohn auf 12 Euro pro Stunde erhöht. Mehr als sechs Millionen Menschen werden so höhere Löhne und höhere Rentenansprüche bekommen. Vor allem Frauen, die oft im Niedriglohnsektor beschäftigt sind, werden davon profitieren.

In 100 Tagen Ampel haben wir schon einiges umgesetzt. Und das obwohl wir die ganze Zeit vorwiegend im Krisenmodus gearbeitet haben.