Jetzt hat auch die SPD ein Gesetzentwurf für ein Entgeltgleichheitsgesetz vorlegt. Das fordern wir auch. Freiwillige Regelungen haben zu nichts geführt – die Lohnlücke liegt unverändert bei 23%. Auch die Regierungsfraktionen können nicht mehr ignorieren, dass Frauen weniger verdienen als Männer. Und doch bleibt es bei Lippenbekenntnissen – wir fordern gesetzliche Regelungen.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Beate Müller-Gemmeke für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!
Die Zahlen und Fakten sind bekannt. Wir müssen nicht mehr beweisen, dass Frauen weniger verdienen als Männer. Auch die Ursachenforschung liegt bereits hinter uns. Wir wissen: Es geht hier um Entgeltdiskriminierung. Das ist auch kein neues Phänomen. Seit Jahren diskutieren wir über die Ungerechtigkeit der mittelbaren und unmittelbaren Diskriminierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Wir Grüne haben Lösungen und Konzepte entwickelt sowie einen entsprechenden Antrag eingebracht. Jetzt liegt ein Gesetzentwurf der SPD vor, den wir sehr begrüßen. Trotzdem müssen wir in den Debatten hier im Bundestag immer und immer wieder bei Adam und Eva beginnen. Die Beharrlichkeit, das Thema auszusitzen, nervt einfach und wird diesem Thema wahrlich nicht gerecht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE))
An die Regierungsfraktionen gerichtet, kann ich nur sagen: Wenn Sie weiterhin meinen, dass der Verweis auf mehr Kinderbetreuung und auf die Tarifautonomie ausreicht – Frau Schön. Oder wenn Ministerin Schröder vorschlägt, Frauen sollten einfach mehr technische Berufe erlernen, damit sie mehr verdienen, dann kann ich nur sagen: Sie haben das Problem in seiner Reichweite einfach nicht verstanden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Es geht nicht allein darum, dass Arbeit gleich bezahlt wird, sondern auch darum, gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit durchzusetzen. Es geht darum, die Kriterien, nach denen Arbeit bewertet wird, geschlechtsneutral auszugestalten. Anders ausgedrückt: Es geht um den gesellschaftlichen Wert von Arbeit von Frauen, also auch um Wertschätzung.
Realität in Deutschland ist aber: Die schlecht bezahlten Berufe sind noch immer Frauensache. So werden beispielsweise in den typischen Frauenberufen im sozialen Bereich die dort unentbehrlichen Fähigkeiten wie soziale Kompetenz, Kommunikationsfähigkeit, Einfühlungsvermögen und Teamgeist ganz selbstverständlich erwartet. Die Anforderungen sind hoch, und die Frauen tragen viel Verantwortung für Menschen. Dennoch wird ihre Arbeit nicht ausreichend wertgeschätzt. Das ist nicht fair und schon gar nicht gerecht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)
Aber die Entgeltdiskriminierung ist nicht allein ein Nischenproblem der klassischen Frauenberufe; sie zieht sich vielmehr quer durch alle Beschäftigungsfelder. Wieder an die Adresse der Ministerin Schröder: Natürlich verdient eine studierte Bauingenieurin mehr als eine Altenpflegerin, aber ‑ und hier liegt das Problem ‑ sie verdient dennoch weniger als ihr männlicher Kollege. Das soll die Ministerin erst einmal den vielen gut ausgebildeten und motivierten jungen Frauen erklären. „Augen zu und durch“ ist einfach zu wenig.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)
Um den Dornröschenschlaf, in dem Sie sich offenbar befinden, noch ein wenig mehr zu stören, hier ein paar Zahlen: In Baukonstruktionsberufen verdienen Frauen rund 30 Prozent weniger als Männer, Physikerinnen erhalten 24 Prozent weniger und Grafikerinnen in der Regel 33 Prozent. Die Lohnlücke in der Gebäudereinigung liegt bei 26 Prozent und selbst für Callcenter ist eine weibliche Beratung 22 Prozent günstiger. Zudem bekommen Frauen weniger Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld und Gewinnbeteiligung, und sie werden seltener befördert als Männer. Diese traurige Realität gilt es endlich zu ändern.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE))
Wenn diese Aufzählung immer noch nicht reicht, habe ich noch folgende Zahlen: Frauen mit Hochschuldiplom verdienen durchschnittlich 3 534 Euro, Männer hingegen 4 590 Euro. Das ist eine unvorstellbare Differenz von satten 1 056 Euro. Je älter die Akademikerin ist, desto größer ist der Gehaltsunterschied. Sollten diese Zahlen den Regierungsfraktionen bislang nicht geläufig sein, so kann ich diese zur Horizonterweiterung gerne zur Verfügung stellen.
(Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist wahrscheinlich immer noch nötig!)
Mittlerweile müsste also klar sein, dass freiwillige Regelungen zu nichts geführt haben. Die Strategie ist gescheitert,
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
denn die alten Strukturen sind beharrlich. Notwendig ist eine faire Bewertung von Arbeitsanforderungen und Tätigkeiten, und zwar unabhängig davon, ob es sich dabei um typische Frauen- oder Männerberufe handelt. Wir brauchen endlich gesetzliche Regelungen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE))
Ein Gesetzentwurf und ein Antrag liegen jetzt vor. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen in den Ausschüssen und auf die Anhörung. Natürlich werde ich auch einige Fragen an die SPD haben. Wie soll beispielsweise die kursorische Prüfung aussehen? Können damit wirklich ausreichend Verdachtsmomente aufgedeckt werden? Warum sollen die Prüfungen der Tarifverträge nicht mehr im Mittelpunkt stehen? Sind die so genannten sachverständigen Personen wirklich überall notwendig? Kurzum: Wir werden eine interessante Diskussion haben. Ganz wichtig: Wir werden endlich inhaltlich über Konzepte diskutieren können.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)
Mit Blick auf die Regierungsfraktionen möchte ich diese Diskussion heute mit einem Satz Goethes beschließen. Ich zitiere:
Es ist nicht genug, zu wissen, man muss auch anwenden. Es ist nicht genug, zu wollen, man muss auch tun.
Liefern Sie also nicht nur Lippenbekenntnisse! Beschäftigen Sie sich endlich ernsthaft mit der Entgeltdiskriminierung und vor allem mit Lösungen! Vorschläge, wie das gehen kann, liegen ja auf dem Tisch. Damit die Arbeit von Frauen nicht länger zum Schnäppchenpreis zu haben ist. Es muss Schluss sein mit dem Dauerrabatt von 23 Prozent.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)