Kaum im Bundestag angekommen, begann die unendliche Geschichte „Leiharbeit“ im Dezember 2009. Es gibt bislang kein Thema zu dem ich so viele Reden gehalten und Pressemitteilungen geschrieben habe. Deshalb habe ich mir die Zeit genommen, eine Zusammenfassung zu schreiben, nachdem Ende März 2011 das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz geändert wurde. Leider hatte die unendliche Geschichte keinen guten Ausgang – die Geschichte geht weiter.
Seit Dezember 2009 kündigte die Bundesregierung wortgewaltig an, den Missbrauch in der Leiharbeit verhindern zu wollen. Grund dafür war damals der offenkundige Missbrauch bei Schlecker, der Beschäftigte in seinen bisherigen Filialen kündigte und über den Umweg über die Leiharbeitsfirma MENIAR wieder in den neuen XXL-Filialen zu schlechteren Löhnen angestellt hat. Notwendig war eine Reform der Arbeitnehmerüberlassung auch, da die EU-Leiharbeitsrichtlinie bis 31.12.2011 in nationales Recht umgesetzt werden musste. Am 24.03.2011 wurde schließlich eine Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes durch den Bundestag beschlossen – nach langen Kontroversen innerhalb der Regierung. Wir Grünen kritisieren die Gesetzesänderung als Minimalreform, denn die drängendsten Probleme werden nicht gelöst.
1. Die Fakten
Nach der Krise boomt die Leiharbeitsbranche in Deutschland. Ca. 1 Million Menschen sind inzwischen in der so genannten Arbeitnehmerüberlassung beschäftigt. Problematisch daran ist: Die Leiharbeitskräfte verdienen im Vergleich zu Stammbelegschaften meist weniger. Der Kündigungsschutz wird umgangen, denn die Leiharbeitskräfte können schnell entlassen werden, wenn sie nicht mehr gebraucht werden. Leiharbeit ermöglicht daher eine teilweise Verlagerung des unternehmerischen Risikos auf Arbeitnehmende und den Staat, der die sehr niedrigen Löhne aufstocken muss. Für die Unternehmen bringt die Leiharbeit maximale Flexibilität und sie ist zudem noch billig. Die Leiharbeitskräfte hingegen sind Beschäftigte zweiter Klasse und haben weniger Arbeitnehmerrechte.
Die Bedeutung der Leiharbeit hat in den vergangenen zehn Jahren stark zugenommen. Die Zahl der LeiharbeiterInnen hat sich von 1998 (245.000) bis 2008 (760.000) mehr als verdreifacht. In der Wirtschaftskrise wurden viele Leiharbeitskräfte frei gesetzt – im Juni 2009 gab es nur noch 527.000 LeiharbeiterInnen. Danach begann der Boom – Anfang 2011 gab es ca. 1 Mio. Leiharbeitskräfte. Die aktuellen Zahlen liegen noch nicht vor.
2. Die öffentliche Debatte
Der Missbrauch bei Schlecker verursachte eine Welle der Empörung in der Öffentlichkeit. Parallel dazu stieg der Zahl der Leiharbeitskräfte nach der Krise stark an. Die Mehrheit der Bevölkerung lehnt Leiharbeit ab und empfindet sie als ungerecht. In der Folge stellte die Bundesregierung ein Gesetz in Aussicht, das den Missbrauch in der Leiharbeit verhindern sollte.
Ministerin von der Leyen brachte drei Varianten eines Gesetzesentwurfes im Kabinett ein. Der Streit zwischen CDU/CSU und FDP um einen Mindestlohn und die konsequente Einführung des Prinzips „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ wurde in der Öffentlichkeit ausgetragen. Es entstand der Eindruck, dass die Koalitionsfraktionen sich auf keine der beiden Regelungen einigen können. Die CDU/CSU forderte einen Mindestlohn für die Leiharbeitsbranche und lehnte Equal Pay ab. Die FDP hingegen lehnte einen Mindestlohn ab und sprach von Equal Pay, ohne aber zu sagen, ab wann dieser gelten solle.
Erst das Vermittlungsverfahren um die Arbeitslosengeld II-Regelsätze brachte wieder Bewegung in die Debatte. SPD und Grüne traten geschlossen auf und forderten eine Gleichbehandlung der Leiharbeitskräfte mit den Stammbelegschaften hinsichtlich Arbeitsbedingungen und Vergütung sowie einen Mindestlohn für die Leiharbeitsbranche – zunächst ohne Erfolg. Die FDP stellte sich quer und blockierte die Verhandlungen mit ihrem Vorschlag, Equal Pay nach 12, später 9 Monate, einführen zu wollen. Schlussendlich konnte die FDP dem Druck nicht standhalten und akzeptierte die Minimalforderung, nämlich eine Lohnuntergrenze für die Leiharbeitsbranche.
3. Das Gesetz der Bundesregierung zur Arbeitnehmerüberlassung
Mit dem nun beschlossenen Gesetz zur Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes möchte die Bundesregierung den Missbrauch in der Leiharbeitsbranche verhindern und das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz an die EU-Leiharbeitsrichtlinie anpassen. Das Gesetz aber wird diesem Anspruch nicht gerecht und kann nur als Minimalreform bezeichnet werden.
Zentraler Punkt des Gesetzes ist die so genannte Schlecker-Klausel, mit der verhindert werden soll, dass Stammbelegschaften entlassen und anschließend wieder als Leiharbeitskräfte zu schlechteren Konditionen eingestellt werden. Zukünftig erhalten Leiharbeitskräfte, die sechs Monate zuvor beim gleichen Arbeitgeber beschäftigt waren, Equal Pay, also „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“. Damit wird der Drehtüreffekt erschwert aber nicht grundsätzlich verhindert. Wenig Fantasie reicht aus, um diese Regelung zu umgehen. So können beispielsweise die ehemaligen Beschäftigten sechs Monate lang „geparkt“ werden, um dann wieder als billige Leiharbeitskräfte am gleichen Arbeitsplatz eingesetzt zu werden. Vor allem verhindert diese Schlecker-Klausel nicht die Substitution von Stammbelegschaften. Diese können weiterhin schleichend ersetzt werden, beispielsweise bei Neueinstellungen. Aber genau das zu verhindern, war politisch nicht gewollt.
Ein richtiger Schritt in die richtige Richtung ist die gesetzliche Lohnuntergrenze im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz. Diese Lohnuntergrenze gilt für alle Leiharbeitsfirmen in Deutschland. Sie ist vor allem mit Blick auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit (1. Mai 201) von großer Bedeutung, da sie verhindert, dass alle Verleiher mit Sitz im europäischen Ausland die Löhne noch weiter unterbieten können. Wir Grünen wollten einen Mindestlohn im Arbeitnehmerentsendegesetz, denn dort wird sicher gestellt, dass der Mindestlohn von der Finanzkontrolle Schwarzarbeit kontrolliert wird. Die Kontrolle der im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz verankerten Lohnuntergrenze muss erst noch geregelt werden.
Die EU-Leiharbeitsrichtlinie ist überwiegend umgesetzt worden. Die wichtigste Vorgabe ist aber nicht erfüllt worden. So fordert die EU-Richtlinie, dass ein minimaler Gesamtschutz der Leiharbeitskräfte sichergestellt werden muss. Eine Abweichung von Equal Pay ist laut EU-Leiharbeitsrichtlinie nur zulässig, wenn die Beschäftigten sich in einem unbefristeten Beschäftigungsverhältnis befinden. Dies wurde in der Gesetzesänderung nicht übernommen. In Deutschland können Leiharbeitskräfte noch immer zu niedrigeren Löhnen und unbefristet eingestellt werden.
Unser Fazit: Die Gesetzesänderung ist vollkommen unzureichend, um Missbrauch zu bekämpfen und die Leiharbeitskräfte wirkungsvoll zu schützen.
4. Die Grüne Position
Rot-Grün hat die Leiharbeit liberalisiert. Ziel war es, den Unternehmen mehr Flexibilität bei ihrer Personalplanung zu geben und Arbeitslose besser in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Mittlerweile müssen wir eingestehen, dass die selbst gesteckten Ziele nicht erreicht wurden. Die Unternehmen können zwar flexibler agieren und auf billigere Arbeitskräfte zurückgreifen. Für Erwerbslose hat die Reform jedoch wenig Wirkung gebracht. Die Leiharbeitskräfte erhalten in den seltensten Fällen reguläre Beschäftigungsverhältnisse – je nach Studie schaffen es gerade mal 7 bis 15%. Der sogenannte Klebeeffekt ist also gering. Die Daten machen deutlich, dass Leiharbeit als arbeitsmarktpolitisches Instrument nicht funktioniert. Die Leiharbeit ist für die Unternehmen billig und steigert die Flexibilität – allerdings zu Lasten der Leiharbeitskräfte, die als Beschäftigte zweiter Klasse gelten.
Wir wollen die Leiharbeit nicht abschaffen, aber wieder zu einem sozialverträglichen Instrument für Beschäftigte und Betriebe gleichermaßen machen. Sie soll weiterhin zur flexiblen Abfederung von Auftragsspitzen und zur Überbrückung personeller Engpässe genutzt werden können, aber nicht zum Nachteil der Beschäftigten.
Wir fordern daher: