Am 8. April haben wir als grüne Bundestagsfraktion einen Beschluss zum Mindestlohn gefasst. Wir begrüßen ausdrücklich den für 2015 geplanten gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro. Wir kritisieren aber die geplanten Ausnahmen. Für mich gilt – Würde kennt keine Ausnahmen.
Ein gesetzlicher Mindestlohn ist per Definition der niedrigste gesetzlich zulässige Lohn! Darunter gibt es nichts. Deshalb gilt: Je mehr Ausnahmen zugelassen werden, desto weniger kann ein Mindestlohn vor Lohndumping schützen. Werden große Gruppen vom Mindestlohn ausgenommen, entsteht ein neuer Niedriglohnsektor. Zudem geht es bei Diskussion um den Mindestlohn um den Wert von Arbeit – auch bei RentnerInnen, Minijobs, ZeitungsausträgerInnen, Saisonarbeitskräfte oder TaxifahrerInnen. Deswegen lehnen wir Ausnahmen grundsätzlich ab.
Aus unserer Sicht unproblematisch ist, dass für Auszubildende oder für Menschen, die für Schule, Studium oder Ausbildung ein Praktikum machen, der Mindestlohn nicht gilt. Das ist gerechtfertigt, denn es handelt sich hierbei nicht um Arbeitsverhältnisse.
Die vorgesehene sechsmonatige Ausnahme vom Mindestlohn bei ehemals Langzeitarbeitslosen hingegen ist nicht akzeptabel. Die Langzeitarbeitslosen sind die Bauernopfer im Mindestlohnstreit zwischen SPD und Union. Sie können schon jetzt mit Lohnkostenzuschüssen gefördert werden, wenn ihre Leistungsfähigkeit eingeschränkt ist. Statt dieses Modell weiterzuentwickeln, werden nun über eine Million Betroffene pauschal stigmatisiert. Sie werden zudem in kurze sechsmonatige Jobs gedrängt, wenn Arbeitgeber diese Regelung systematisch ausnutzen. Nicht akzeptabel ist außerdem die Absicht der Bundesregierung, für Langzeitarbeitslose auf jegliche Lohnuntergrenze zu verzichten. Damit wird Tür und Tor für Dumpinglöhne geöffnet. Alles zusammen ist katastrophal und geht ausschließlich zu Lasten der Erwerbslosen.
Ganz absurd ist zudem, dass von dieser Regelung nur tarifungebundene Betriebe profitieren. Damit setzt die Bundesregierung Anreize zur Tarifflucht und konterkariert ihr selbstgestecktes Ziel, die Tarifbindung in Deutschland zu stärken. Das so genannte „Tarifautonomiestärkungsgesetz“ wird in sein Gegenteil verkehrt und verdient diesen Namen nicht.
Wir lehnen auch ab, dass unter 18-jährige junge Menschen vom Mindestlohn ausgenommen werden. Damit unterstellt die Bundesregierung Jugendlichen, sie würden zugunsten eines Jobs auf eine Ausbildung verzichten. Über 90% der jungen Menschen gehen in die Ausbildung oder ins Studium – sie werden zukünftig benachteiligt, weil maximal 10% der jungen Menschen Probleme mit einer Ausbildung haben. Eine Politik auf Augenhöhe sieht anders aus. Notwendig wären vielmehr eine Ausbildungsgarantie und eine aktive Arbeitsmarktpolitik, die bei den jungen Menschen ankommt und Vertrauen schafft. Ausnahmen beim Mindestlohn können Investitionen in Bildung nicht ersetzen!
Ich lehne also jegliche Ausnahmen beim Mindestlohn ab. Ausnahmen führen zu neuen Fehlanreizen und Verdrängungseffekten, denn warum sollen Arbeitgeber einen Mindestlohn zahlen, wenn es billigere Arbeitskräfte gibt? Außerdem stellt sich für Gruppen, die vom Mindestlohn ausgenommen werden: Ist ihre Arbeit weniger wert? Sind sie weniger produktiv? Sind Sie gar Beschäftigte 2. Klasse? Meine Antwort darauf ist eindeutig – nein, jede Arbeit hat ihren Wert.
Die Ausnahmen stehen im Mittelpunkt der Diskussion. Ein wichtiger Punkt aber kommt derzeit zu kurz und darauf machen auch ArbeitsmarktexpertInnen aufmerksam. Studien zeigen nämlich, dass viele Beschäftigte, die weniger als 8,50 Euro verdienen, gar nicht nach Stundenlohn – sondern nach Stücklohn bezahlt werden. Viele haben keine fest vereinbarte Arbeitszeit. Das heißt, für mehr als ein Drittel fällt regelmäßig unbezahlte Mehrarbeit an. Hier gilt es also, Regelungen zu finden, die die Beschäftigten vor Missbrauch schützen. Es muss gewährleistet sein, dass der bezahlte Lohn auf Stundenbasis ermittelt und umgerechnet werden kann. Grundvoraussetzung dafür ist auch, dass ordentlich kontrolliert wird. Wie das tatsächlich sichergestellt werden soll, sehe ich noch nicht. Denn die Finanzkontrolle Schwarzarbeit, die letztlich den Mindestlohn kontrollieren wird, hat heute schon nicht genug Personal. Und mehr Personal ist auch nicht geplant. Das hat die Bundesregierung im Finanzausschuss auch nochmals bestätigt. Notwendig sind also schlüssige Regelungen für den Nachweis der Arbeitszeit und insbesondere ausreichend Kontroll-Personal.
Ein Mindestlohn nur auf dem Papier – das wäre nicht akzeptabel! Und wenn eine Mindestlohn-Stunde zukünftig 90 Minuten dauert, dann wäre das katastrophal.