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05.02.2015

Erklärung zur gesetzlichen Tarifeinheit

Am morgigen Freitag berät der Bundesrat über das Gesetz zur Tarifeinheit. Es ist ein Einspruchsgesetz. Im Bundesrat kann das Gesetz nicht gestoppt werden, entscheidend ist die Beratung und Abstimmung im Bundestag.  Dennoch haben wir den Anlass für eine gemeinsame Erklärung der zuständigen grünen Abgeordneten im Bund und den grün mitregierten Ländern genutzt. Denn für uns ist das geplante Tarifeinheitsgesetz ein Eingriff in die Koalitionsfreiheit und ein Angriff auf das Streikrecht. 

Freiheit zu streiken statt Zwang zu betteln

Wir respektieren die Haltung der grün mitregierten Landesregierungen zum Tarifeinheitsgesetz im Zusammenspiel mit SPD und CDU, zumal es sich für den Bundesrat lediglich um ein Einspruchsgesetz handelt. Dennoch beurteilen wir – die grünen FachpolitikerInnen aus Bund und Ländern – die gesetzliche Tarifeinheit als einen Eingriff in das Grundrecht der Koalitionsfreiheit und als Angriff auf das Streikrecht. Die Tarifpluralität gehört zu den Grundprinzipien unserer Demokratie, denn alle Beschäftigten haben das Recht, sich zu organisieren und müssen in letzter Konsequenz auch das Recht haben, für ihre Anliegen zu streiken.

Gleichzeitig ist unbestritten: Die Tarifpolitik der Gewerkschaften lebt von Solidarität. Tarifpluralität erfordert deshalb Kooperationen zwischen den Gewerkschaften. Nur solidarisch können alle Beschäftigten angemessen vertreten und in ihren Anliegen unterstützt werden. Das Tarifeinheitsgesetz wird dafür aber nicht den notwendigen Betriebsfrieden schaffen – im Gegenteil, es wird die Konkurrenz zwischen den Gewerkschaften und den Kampf um Mitglieder verschärfen. Solidarität und Kooperationen lassen sich nicht verordnen und schon gar nicht gesetzlich erzwingen. Beides ist nur auf freiwilliger Basis zu haben, und es ist auch nicht Aufgabe der Politik, sondern Aufgabe der Gewerkschaften.

Schon die Annahmen sind falsch
Jahrzehnte galt der Grundsatz „ein Betrieb – ein Tarifvertrag“. Im Juni 2010 hat dann das Bundesarbeitsgericht seine bisherige Rechtsprechung zur Tarifeinheit revidiert und an die längst existierende Tarifpluralität angepasst. Seither läuft die Debatte um eine gesetzliche Tarifeinheit. Mittlerweile liegt ein Entwurf für ein Gesetz zur Tarifeinheit vor mit der Begründung: „Die Kollision von Tarifverträgen konkurrierender Gewerkschaften beeinträchtigt die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie.“

Doch Fakt ist: In den letzten Jahren seit dem BAG-Urteil sind keine neuen relevanten und streikfähigen Berufsgewerkschaften entstanden. Konkurrierende Gewerkschaften haben in der Vergangenheit häufig kooperiert, wenn es um neue Tarifverträge ging. Bei Streiks gibt es ausreichend gerichtliche Kontrollinstrumente, und vor allem sind die Streiktage weiterhin überschaubar. Mehr noch – im internationalen Vergleich wird in Deutschland nur selten gestreikt. In der Konsequenz gibt es keinen Anlass, die Tarifpluralität gesetzlich auszugestalten.

Eingriff in die Koalitionsfreiheit
Kollidieren zwei Tarifverträge, so soll zukünftig per Gesetz nur noch der Tarifvertrag der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern im Betrieb gelten. Mit dieser vermeintlichen Lösung werden allein die Mehrheitsgewerkschaften gestärkt. Die Minderheitengewerkschaften müssen sich unterordnen.

Doch Artikel 9 Abs. 3 im Grundgesetz ist eindeutig: Die Koalitionsfreiheit gilt hiernach für „jedermann und alle Berufe“. Er lässt eine Unterordnung des Grundrechts auf Koalitionsfreiheit unter gesellschafts- oder wirtschaftspolitische Zweckmäßigkeitserwägungen nicht zu. So schreibt Prof. Dr. Wolfgang Däubler in seinem Gutachten: „Das Freiheitsrecht des Art. 9 Abs. 3 GG lässt sich nicht in das Korsett eines ganz bestimmten Freiheitsgebrauchs pressen; es gibt keinen ungeschriebenen Funktionsvorbehalt“.

Auch Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio, Direktor des Instituts für Öffentliches Recht der Universität Bonn und ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht bezweifelt die Verfassungskonformität des Tarifeinheitsgesetzes, denn er schreibt in seinem Rechtsgutachten: „Der Eingriff in den Kernbereich der Koalitionsfreiheit ist nur bei nachweisbaren schweren und konkreten Gefahren für überragend wichtige Gemeinschaftsgüter gerechtfertigt.“ Und: „Diese Voraussetzungen sind in mehrfacher Hinsicht nicht erfüllt.“

Angriff auf das Streikrecht
Das Streikrecht ist eng mit der Koalitionsfreiheit verbunden, damit die Beschäftigten auf Augenhöhe ihre Interessen und Anliegen durchsetzen können. Zum Streikrecht äußert sich der Gesetzesentwurf zwar nicht explizit – indirekt aber in den Erläuterungen schon. Dennoch behauptet die Bundesarbeitsministerin, das Streikrecht werde nicht eingeschränkt. Die meisten Rechtsexperten erwarten deshalb eine Prozessflut und interpretieren die Ausführungen dennoch als Eingriff ins Streikrecht. Denn die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes fordert für Arbeitskämpfe „ein tariflich regelbares Ziel“. Käme der Tarifvertrag einer Minderheitengewerkschaft also gar nicht erst zur Anwendung, so hätte diese Gewerkschaft künftig auch kein Recht zu streiken und wäre zum Stillhalten gezwungen. Das Streikrecht aber ist ein hohes Gut, denn schon 1980 urteilte das Bundesarbeitsgericht: „Tarifverhandlungen ohne das Recht zum Streik wären nicht mehr als kollektives Betteln.“

Konkurrenz in den Betrieben
Die Mehrheitsgewerkschaft wird im Betrieb ermittelt. Die Bahn verfügt beispielsweise über 300 Betriebe, in allen müsste zukünftig die Mehrheit ermittelt werden. Offen ist insbesondere vor diesem Hintergrund, wie zukünftig noch ein Flächentarifvertrag verhandelt werden kann.

Vor allem aber stellt die gesetzliche Tarifeinheit ganz eindeutig die Existenzberechtigung von Minderheitengewerkschaften in Frage, und dies führt zwangsläufig zum Häuserkampf. Denn unweigerlich versuchen die kleineren Gewerkschaften, größer und mächtiger zu werden. Immerhin bekommt der Gewinner am Ende alles, vor allem den gültigen Tarifvertrag. Anders als es die Begründung des Gesetzes vorgibt, wird die gesetzliche Tarifeinheit die Solidarität in den Belegschaften nicht stärken – im Gegenteil: Sie wird die Konkurrenz zwischen den Gewerkschaften anfeuern und den Kampf um die Mitglieder verschärfen.

Handwerkliche Schwächen des Gesetzes
Die Gerichte werden auch bei der Feststellung der Mitgliederzahlen von Gewerkschaften ein gewichtiges Wort mitzureden haben. Denn Dreh- und Angelpunkt der Umsetzung der gesetzlichen Tarifeinheit ist die Mitgliederzählung im Betrieb, wenn zwei Gewerkschaften und zwei Tarifverträge im gleichen Betrieb in „Kollision“ geraten. Der Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler schreibt hierzu in seinem Gutachten: „Bislang existiert kein wirklich verlässliches Verfahren, wie in überschaubarer Zeit die Mitgliederzahl von zwei Gewerkschaften festgestellt werden soll. Auch gibt es keine einsichtigen Regeln für die Zeit bis zu einer denkbaren gerichtlichen Regelung.“

Im Streitfall ist es fraglich, wie der für die Zählung zuständige Notar die Mehrheit bestimmen und überprüfen kann, ohne eine Offenlegung der Gewerkschaftszugehörigkeit der Einzelmitglieder. Das aber würde dem informationellen Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen widersprechen. Jenseits der datenschutzrechtlichen Fragen sind auch die Fragen Dauer, Aufwand und Kosten einer solchen Zählung noch völlig offen.

 

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