Seit 4 Jahren läuft die Diskussion über eine gesetzliche Tarifeinheit. Rufen dann noch die Lokführer oder Piloten zum Streik auf, laufen die Forderungen nach einer gesetzlichen Tarifeinheit mit sorgenschwerem Pathos über alle Kanäle. Die Bundesregierung wird zum schnellen Handeln aufgerufen. Da lohnt es sich, ganz genau hinzuschauen.
Fakt ist, die Streiks sind für Fluggäste und Bahnfahrende ärgerlich und für die Unternehmen oft kostspielig. Darum ist der Vorschlag auf den ersten Blick verlockend, die besonders offensiv auftretenden Berufs- oder Spartengewerkschaften per Gesetz zum Frieden zu zwingen. Dafür machen sich seit einigen Jahren insbesondere die Arbeitgeberverbände stark. Dementsprechend haben sich nun Bundesarbeitsministerin Nahles und die schwarz-rote Bundesregierung vorgenommen, die Tarifeinheit gesetzlich zu erzwingen.
Bundesregierung will Gewerkschaften zur Einheit zwingen
Das soll geschehen, indem nur noch der Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft gelten soll und während der Laufzeit des Tarifvertrags sollen in den Betrieben keine Arbeitskämpfe mehr stattfinden dürfen. Kleine Berufsgewerkschaften wären demnach ihres wichtigsten Druckmittels – des Streiks – beraubt, und könnten de facto keine eigenen Forderungen mehr durchsetzen. Ihnen bliebe lediglich das „kollektive Betteln“. Das entzieht ihnen aber die Existenzgrundlage. Denn welchen Wert hätte es für Beschäftigte, sich in Gewerkschaften zu organisieren, die nichts erreichen können?
Auch die häufig vorgetragenen Argumente der Verfechter einer gesetzlich erzwungenen Tarifeinheit sind zu hinterfragen. Weder gab es in den letzten Jahren in der Summe mehr Streiks von Berufsgewerkschaften, noch ist dies durch etwaige Neugründungen von Kleingewerkschaften in Zukunft absehbar. Zudem bestehen ausreichend funktionierende gerichtliche Kontrollmechanismen, durch die unverhältnismäßige Streiks unterbunden werden. Vor allem wird die zunehmende Erosion des Tarifvertragssystems weniger durch Gewerkschaftspluralität vorangetrieben, sondern eher durch Umgehungsstrategien wie Tochtergesellschaften und Outsourcing von Seiten der Arbeitgeber.
Kooperation statt Konfrontation
Es ist unbestritten: Die Tarifpolitik der Gewerkschaften lebt von Solidarität. Starke Gewerkschaften müssen ihre Durchsetzungsmacht auch für schwache Gruppen nutzen. Ebenso erfordert die Tarifpluralität auch Kooperationen, um gemeinsam für faire Löhne und gute Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Nur solidarisch können alle Beschäftigten angemessen vertreten und in ihren Anliegen unterstützt werden.
Solidarität lässt sich aber nicht verordnen und schon gar nicht gesetzlich erzwingen. Deshalb lehnen wir Grüne im Bundestag die gesetzliche Tarifeinheit ab. Aus unserer Sicht wird die gesetzliche Tarifeinheit in den Betrieben die Auseinandersetzungen um Mitglieder verschärfen. Stattdessen halten wir Kooperationen unter Gewerkschaften – wie sie im Übrigen in manchen Branchen seit Jahren üblich sind – für wünschenswert und für alle Beschäftigten am wirkungsvollsten.
Die geplante gesetzliche Tarifeinheit ist nicht nur ein Angriff auf das Streikrecht, sondern auch ein Eingriff in die Koalitionsfreiheit und die ist ein verfassungsrechtlich garantiertes Grundrecht. Die Tarifpluralität gehört zu den Grundprinzipien einer Demokratie, denn alle Beschäftigten haben das Recht, sich zu organisieren und müssen in letzter Konsequenz das Recht haben für ihre Anliegen zu streiken. Auch diese Freiheit gehört zu unserer Demokratie.
Links:
Brief | Bundespräsident hat Tarifeinheitsgesetz unterschrieben |
Abstimmung | Bundestag beschließt gesetzliche Tarifeinheit und Angriff auf Streikrecht |
Rede | Leiharbeit und Werkverträge eingrenzen |
Öffentliche Anhörung | Öffentliche Anhörung zum Tarifeinheitsgesetz |
Rede | Erste Lesung – Gesetz zur Tarifeinheit |
Kleine Anfrage | Gesetzliche Tarifeinheit (04.03.2016) |
Bewertung kl. Anfrage | Gesetzliche Tarifeinheit – niemand weiß warum! |
Presseartikel Die Welt | Zweifel an Verfassungsmäßigkeit von Tarifgesetz |
Kleine Anfrage | Gesetzliche Tarifeinheit (14.01.2015) |
Antrag | Solidarität im Rahmen der Tarifpluralität ermöglichen |
Fraktionsbeschluss | Tarifeinheit – Kooperation statt Konfrontation |
Pressemitteilung | Gesetzliche Tarifeinheit verschärft Konkurrenz |
Pressemitteilung | Zwangsschlichtung: Neuer Angriff aufs Streikrecht |
Pressemitteilung | Gesetzentwurf zur Tarifeinheit: Nahles sollte die Notbremse ziehen |
Rede | Gesetzliche Tarifeinheit |
Video | Beate Müller-Gemmeke erklärt Tarifeinheit |