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22.01.2017

Karlsruhe: Verfassungsbeschwerde gegen die Tarifeinheit

Tarifeinheit

Am 24. und 25. Januar 2017 wird der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts über fünf Verfassungsbeschwerden gegen das Gesetz zur Tarifeinheit verhandeln. In der Zeit vor dem Inkrafttreten des Gesetzes am 10. Juli 2015 habe ich vehement diese gesetzlich verordnete Tarifeinheit kritisiert. Nun werde ich die öffentliche Anhörung in Karlsruhe besuchen und bin gespannt darauf, wie das Gesetz beim Bundesverfassungsgericht debattiert wird.  

Eingebettet in einführende und abschließende Stellungnahmen, wird das Bundesverfassungsgericht an den beiden Verhandlungstagen zunächst die Zulässigkeit der Beschwerden prüfen. Anschließend geht es darum, ob sie begründet sind. Denn seit Inkrafttreten des Gesetzes gilt in einem Betrieb, in dem zwei Gewerkschaften zwei Tarifverträge aushandeln, am Ende nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern im Betrieb. Damit ist die gesetzlich verordnete Tarifeinheit meiner Meinung nach ein Eingriff in die Koalitionsfreiheit, die in Artikel 9 Abs. 3 Grundgesetz jedem garantiert ist. Diese Koalitionsfreiheit  ist ein Freiheitsrecht und schützt – wie alle Grundrechte – Minderheiten vor Mehrheiten. Die gesetzlich verordnete Tarifeinheit verkehrt diesen Minderheitenschutz jedoch in ihr Gegenteil.

Gleichzeitig werden sich die Bundesverfassungsrichter die Frage stellen, inwiefern sich diese Kollisionsregel des Gesetzes auf die Rechtmäßigkeit von Maßnahmen des Arbeitskampfes auswirkt. Denn das Streikrecht ist eng mit der Koalitionsfreiheit verbunden. Nur mithilfe von Streiks können Beschäftigte auf Augenhöhe ihre Interessen und Anliegen durchsetzen. Zum Streikrecht äußert sich das Gesetz zwar nicht explizit – indirekt aber schon. Weil das Bundesarbeitsgericht für Arbeitskämpfe ein „tariflich regelbares Ziel“ fordert, glauben verschiedene Arbeitsrechtler, Minderheitengewerkschaften seien aufgrund des Tarifeinheitsgesetz zum Stillhalten verpflichtet und dürften künftig nicht mehr streiken, denn ihr Tarifvertrag käme ja nie zur Anwendung.  Andere Juristen hingegen gehen davon aus, dass es kein präventives Streikverbot geben kann. „Abgerechnet“ werde erst zum Schluss, nach Abschluss eines kollidierenden Tarifvertrags.

Für mich ist die gesetzlich verordnete Tarifeinheit ein Eingriff in die Koalitionsfreiheit und ein Angriff auf das Streikrecht. Denn alle Beschäftigten haben das Recht, sich zu organisieren und für ihre Anliegen zu streiken. Damit gehört für mich die Tarifpluralität zu den Grundprinzipien einer Demokratie – und nicht die Tarifeinheit. Ich bin gespannt, wie die Bundesverfassungsrichter schlussendlich das Gesetz beurteilen.