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31.05.2024

Leserbrief zum „Atomausstieg“ – schon die Annahmen waren falsch

In einem Leserbrief im GEA wurden die Entscheidungen 2022 zur Atomkraft hinterfragt. Der Ton des Leserbriefs war unterirdisch. Vor allem waren die Annahmen, auf dem die Argumentation und Behauptungen aufgebaut haben, einfach falsch. Denn im Jahr 2022 ging es nicht um den Atomausstieg, sondern um den Energiepreisschock, der durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine entstanden ist, um die extreme Abhängigkeit von billigem Gas aus Russland und um leere Gasspeicher. Deshalb musste ich einfach mit einem Leserbrief reagieren.

Die Energieversorgung musste sichergestellt werden und das ist gelungen
Es ist befremdlich, dass der Leserbrief von Dr. Ludwig zu Robert Habeck nicht nur mit „Atomausstieg“ überschrieben ist, sondern dass auch seine ganze Argumentation und seine Behauptungen darauf aufbauen. Im Jahr 2022 ging es aber gar nicht um den Atomausstieg, denn der wurde 2011 beschlossen und zwar von der damaligen Bundesregierung, geführt von Union und FDP. Die Atomkraftwerke wurden in den folgenden Jahren planmäßig schrittweise vom Netz genommen. Anfang 2022 waren nur noch drei Atomkraftwerke am Netz und auch die sollten bis Ende 2022 abgeschaltet werden.
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hatte eine Energiepreisschock in Deutschland ausgelöst, die sich schrittweise zuspitzte, auch weil zu dieser Zeit 50 Prozent der französischen AKWs ausgefallen sind und Putin am Ende das Gas komplett abgestellt hat. Wirtschaftsminister Habeck nahm verschiedene Optionen in den Blick, um die Versorgung mit Strom für den Winter 2022/2023 und auch für das nachfolgende Jahr sicherzustellen. Alle Optionen wurden sorgfältig geprüft und kontrovers diskutiert. Eine Option war die Atomenergie. In der Diskussion ging es damals aber nicht um den Atomausstieg, sondern nur um die Frage, ob drei Kraftwerke über das beschlossene Ausstiegsdatum hinaus laufen sollen. Beschlossen wurde ein Streckbetrieb, mit dem der Leistungsbetrieb der letzten drei Atomkraftwerke verspätet Mitte April 2023 endete.
Wenn sich jetzt der „Cicero“ eine Option herauspickt und diese skandalisiert, dann ist auch das äußerst befremdlich. Denn der Streckbetrieb der Atomkraftwerke war nur eine unter vielen Maßnahmen. Entscheidend ist: Die Strategie von Robert Habeck war erfolgreich. Er hat die extreme Abhängigkeit von billigem Gas aus Russland trotz leerer Gasspeicher überwunden. Niemand musste in den letzten zwei Wintern bei uns frieren. Die Energieversorgung war gesichert – sowohl für die unzähligen Wirtschaftsunternehmen in unserem Land als auch für die einzelnen Haushalte. Ein Jahr nach dem finalen Atomausstieg sind die Strompreise wieder deutlich gesunken. Der monatliche Strompreis im Großhandel ging von März 2023 bis März 2024 um fast 40 Prozent zurück. Grundlage dafür ist der enorme Zubau an erneuerbaren Energien, der stärker war als je zuvor in unserer Geschichte. 2023 kam erstmals mehr als die Hälfte unseres Stroms aus erneuerbaren Quellen.
Und zu guter Letzt gibt es unverändert wirklich gute Gründe, aus der Atomenergie endgültig auszusteigen. Atomkraftwerke sind extrem unflexibel, sie können nicht einfach ein- und ausgeschaltet werden. Je mehr davon im Betrieb sind, desto häufiger müssen zum Beispiel Windräder abgeschaltet werden, obwohl genügend Wind weht. Die Atomenergie ist und bleibt vor allem eine Hochrisikotechnologie. Die Vergangenheit von Tschernobyl bis hin zu Fukushima hat gezeigt, dass die Risiken nicht nur hypothetisch sind, sondern dass sich schwere Unfälle mit gravierenden Folgen für Mensch und Umwelt konkret ereignen können. Noch überhaupt nicht gelöst, ist das Problem, wie die radioaktiven Abfälle entsorgt werden – ohne die nachfolgenden Generationen zu gefährden. Ein Endlager gibt es bis heute nicht und der Weg dorthin ist teuer und wird auch lange dauern. Darüber hinaus wird es noch heftige gesellschaftliche Debatten geben, denn niemand will ein AKW oder ein Endlager vor der eigenen Haustür. Doch darüber scheinen sich die Befürworter der Atomenergie keine Gedanken zu machen.
Beate Müller-Gemmeke, Abgeordnete im Deutschen Bundestag für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Leserbrief: Die Energieversorgung musste sichergestellt werden und das ist gelungen