Wir hatten Professoren und Vertreter der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite eingeladen, um über den 3. Weg – dem kirchlichen Arbeitsrecht zu diskutieren. Es ging um die Loyalitätspflichten, die teilweise zu Kündigungen führen und ebenso um die Lohnfindung und Arbeitsbedingungen in kirchlichen Einrichtungen. Die Diskussion war lebhaft und gehaltvoll – vor allem aber kontrovers. Das Thema wird mich weiter beschäftigen.
Am Freitag, den 2. November, hat die Bundestagsfraktion ein öffentliches Fachgespräch zu strittigen Fragen des sogenannten „kirchlichen Arbeitsrechts“ veranstaltet, um Möglichkeiten und Grenzen von Neuregelungen in diesem Bereich, der auch „Dritter Weg der Kirchen“ genannt wird, auszuloten.
Josef Winkler MdB, stellvertretender Fraktionsvorsitzender und Sprecher für Kirchenpolitik und interreligiösen Dialog, begrüßte ReferentInnen und Gäste und führte kurz in die Thematik ein. Er skizzierte die verfassungsrechtliche Situation und wies auf die engen Grenzen hin, in denen Handlungsspielraum besteht. Allerdings seien die Arbeitsbedingungen im Sozialbereich allgemein sehr schlecht, was dagegen sprechen könne, dass es alleine der Dritte Weg sei, der prekäre Beschäftigung verursache.
Kollektives Arbeitsrecht
In einem Panel ging es um das kollektive Arbeitsrecht, also die Frage, inwiefern der Ausschluss von Streiks und Aussperrungen und die Nichtzulassung von Gewerkschaften in kirchlichen Einrichtungen vom kirchlichen Selbstbestimmungsrecht gedeckt sind. Beate Müller-Gemmeke MdB, Sprecherin für Arbeitnehmerrechte, begrüßte dazu Dr. Jörg Kruttschnitt, Vorstand Wirtschaft und Verwaltung des Diakonischen Werks der EKD, Rolf Lodde, Sprecher der Dienstgeberseite der Arbeitsrechtlichen Kommission des Deutsches Caritasverbands, Berno Schuckart-Witsch, ver.di-Bundesvorstand, und Daniel Wenk, Mitglied der Arbeitsrechtlichen Kommission der Evangelischen Kirche Baden und des Gesamtausschusses der MitarbeiterInnen.
Die Diskussion aus Sicht von Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern zeigte, dass die Probleme im kirchlichen Arbeitsrecht nach wie vor bestehen. Die Seite der Mitarbeitervertretung bemängelte, dass bei der Diakonie ein höchst zersplittertes System aus Arbeitsrechtlichen Kommissionen und Mitarbeitervertretungen bestehe – dasselbe gelte in der Diakonie auch bei den Arbeitsvertragsrichtlinien, die zudem zahlreiche Öffnungsklauseln enthalte. Diese unterschiedlichen Entlohnungsregeln und die Praxis der Auslagerung in Servicegesellschaften führen dazu, dass die kirchlichen Arbeitgeber auf unterschiedliche Tarife zurück greifen können – zu Lasten der Beschäftigten. Weiter forderte der Vertreter der Mitarbeitervertretung eine Unternehmensmitbestimmung bei Caritas und Diakonie, damit auch in den kirchlichen Sozialkonzernen die Beschäftigten Mitbestimmungsrechte erhalten.
Die Arbeitgeberseite der Diakonie widersprach diesen Ausführungen und verwies auf neue Entwicklungen, wie Verwerfungen vermieden werden sollen. Die Vertreter der Caritas betonten, dass das System auf katholischer Seite einheitlicher ausgestaltet ist. Caritas und Diakonie gaben zu bedenken, dass eine völlige Aufgabe des kirchlichen Arbeitsrechts aufgrund des niedrigen Organisationsgrades von ver.di nicht per se die Beschäftigungs- und Entlohnungsbedingungen in der Vielzahl kleiner kirchlicher Einrichtungen verbessern würde.
Von kirchlicher Seite wurde empfohlen, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit einräumt kirchliche Tarife für allgemeinverbindlich zu erklären. Das lehnt ver.di aber ab. Ver.di forderte vielmehr die Kirchen auf, Tarifverhandlungen für einen „Tarifvertrag Soziale Dienstleistungen“ aufzunehmen, der von der Politik allgemeinverbindlich erklärt werden könnte und damit auch für private Anbieter verbindlich wäre. Grundlage dafür können entsprechend dem Tarifvertragsgesetz nur Tarifverträge sein. Zudem wurde darauf verwiesen, dass die kirchlichen Tarife auch vom Bundesarbeitsgericht als nicht gleichwertig mit Tarifverträgen gesehen werden und sie nur Geltung entfalten, wenn sie einzelvertraglich verankert werden.
Uneinigkeit bestand weiterhin bei der Frage des Streikrechts. Die Mitarbeitervertretung führte aus, das Streikrecht müsse auch im „Dritten Weg“ gelten. Die Arbeitgeberseite hingegen erläuterte, dass der Streik nicht zum Prinzip der Dienstgemeinschaft passe.
Individuelles Arbeitsrecht
In einer Runde wurde das individuelle Arbeitsrecht auf den Prüfstand gestellt, also das Recht der Kirchen, von ihren Mitarbeitenden über das Maß des allgemeinen Diskriminierungsverbotes hinaus ein „aufrichtiges und loyales Verhalten“ verlangen zu können. Für einen Input aus der Praxis konnte Bernhard Franke, der Leiter des Referates für Grundsatzangelegenheiten und Beratung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gewonnen werden. Er erklärte, dass Beschwerden gegen kirchliche Einrichtungen wegen Verletzung der sexuellen Identität oder fehlender Konfessionszugehörigkeit eine nur sehr geringe Rolle in der Arbeit der Antidiskriminierungsstelle spielten. So habe es in 2011 nur 122 Anfragen wegen kirchlicher Arbeitgeber gegeben. Bedeutsam sei die Frage der Diskriminierung in kirchlichen Einrichtungen aber dennoch, weil es eine Rolle spiele, ob § 9 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), der die Ausnahmen für Religionsgemeinschaften regelt, verkündigungsnahe und -ferne Tätigkeiten gleichermaßen vom AGG befreie. Konflikfthaft etwa sei die Frage, ob eine Ungleichbehandlung nur wegen Religion oder auch wegen anderer Diskriminierungsgründe, etwa der sexuellen Identität erlaubt sei, wie es die katholische Kirche für sich in Anspruch nehme. Die deutsche Rechtsprechung habe dies früher bejaht, aber es sei unklar, ob dies europarechtskonform im Sinne der EU-Richtlinie 2000/78 sei. Durch die neuesten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesarbeitsgerichts sei aber klargestellt worden, dass das Selbstverständnis der Kirchen mit den Interessen der Arbeitnehmenden abgewogen werden müsse.
Anschließend diskutierte unter der Leitung von Volker Beck MdB, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer und Sprecher für Menschenrechtspolitik, Prof. Dr. Ulrich Hammer, Rechtsanwalt und langjähriger Kenner des kirchlichen Arbeitsrechts mit Prof. Dr. Ansgar Hense, der das Institut für Staatskirchenrecht der Deutschen Bischofskonferenz leitet.
Hammer machte deutlich, dass das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen im Grunde unstrittig sei, allerdings nur in den Grenzen der allgemeinen Gesetze. Seit mehreren Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte bedeute dies, dass zwischen den Interessen der Arbeitnehmenden auf Weiterbeschäftigung und den Interessen des kirchlichen Arbeitgebers an einer Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses abgewogen werden müsse. Den Vorstellungen der Kirche komme kein automatischer Vorrang mehr zu. In der Abwägung sei auch die Frage bedeutsam, ob sich der kirchliche Arbeitgeber möglicherweise widersprüchlich verhalte, also zum Beispiel homosexuelle Mitarbeitende in bestimmten Fällen toleriere und in anderen nicht. Deshalb seien die Kirchen verpflichtet, kircheninterne Verfahren vorzuhalten, die differenzierte Entscheidungen ermöglichten.
Hense erwiderte, dass es derartige Verfahren gebe: Die Grundordnung für den kirchlichen Dienst, die die Loyalitätspflichten der Arbeitnehmenden regelt, sehe eine Abstufung der Loyalitäten vor, je nachdem, ob der Arbeitnehmende Mitglied der Kirchen sei oder nicht. Er plädierte aber dafür, auf die innerkatholischen Diskussionen einzuwirken, was die kirchenrechtliche Betrachtung von wiederverheiratet Geschiedenen oder Homosexuellen angehe. Denn gesellschaftliche Prozesse wirkten auf die Kirche zurück und führten letztlich zu einer veränderten Tonlage kirchlicher Verlautbarungen. Ein bewährtes katholisches Vorgehen sei die „Dynamik der Stabilität“, also die Auslotung dessen, was im starren Rahmen katholischer Lehre an Spielräumen vorhanden sei. Allerdings wies er auch darauf hin, dass Differenzierungen im kirchlichen Dienst im Streitfall auch als Inkonsequenz zum Nachteil des Arbeitgebers ausgelegt werden könnten.
Anforderungen an das kirchliche Arbeitsrecht im 21. Jahrhundert
Ein drittes Panel hatte die Aufgabe, einen verfassungspolitischen Ausblick auf den „Dritten Weg“ zu formulieren. Unter der fachkundigen Moderation des ehemaligen Verfassungsrichters Prof. Dr. Brun-Otto Bryde debattierten Prof. Dr. Jens Schubert, der Bereichsleiter Recht und Rechtspolitik der ver.di-Bundesverwaltung, und Prof. Dr. Hans-Michael Heinig, Leiter des Kirchenrechtlichen Instituts der EKD, über die Zukunftsfähigkeit des kirchlichen Arbeitsrechts.
Schubert erklärte, dass es den Gewerkschaften um die Arbeitnehmenden gehe, aber nicht gegen die Kirchen, sondern im Dialog mit ihnen. Im Folgenden stellte er einige kritische Nachfragen zur geltenden Rechtslage mit dem Ziel, eine Veränderung der Bewertung zu erreichen. So stellte er in Frage, ob durch das Begehr der Gewerkschaften, Tarifverträge abzuschließen, das kirchliche „Proprium“ überhaupt berührt sei. Schließlich entscheide sich die Kirche freiwillig zur Anwendung des „weltlichen“ Arbeitsrechts, so dass es sich auch den daraus resultierenden Konsequenzen unterwerfen müsse. Die wohl bedeutendste Konsequenz sei aus seiner Sicht die Anerkennung der verfassungsimmanenten Schranke des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts aus Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz, welcher das Streikrecht normiert. Unter Bezugnahme auf die vorherige Diskussion konstatierte Schubert, dass es eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung nur von Tarifverträgen geben könne, so dass Konstruktionen, die Ergebnisse der Arbeitsrechtlichen Kommissionen diesen gleichzustellen, zum Scheitern verurteilt seien.
Heinig stellte zunächst fest, dass das kirchliche Arbeitsrecht von normativen Zielkonflikten geprägt sei, von denen kein Ziel a priori Vorrang genieße. Das kirchliche Arbeitsrecht müsse drei Kriterien genügen: erstens der Achtung korporativer religiöser Freiheit; zweitens dem hohen sozialen Schutz abhängig Beschäftigter; drittens der Achtung der individuellen Persönlichkeitsrechte. Verkompliziert werde dies noch durch eine zunehmende Verschärfung religiös-weltanschaulicher Konflikte. Folgende Variablen seien dabei zu berücksichtigen: erstens die Refinanzierungsbedingungen des sozialen Marktes, auf dem ein enormer Kostendruck laste, aber in dem kein systematischer Missbrauch des „Dritten Weges“ erkennbar sei; zweitens die Akzeptanz des „Dritten Weges“ bei den Dienstnehmern; drittens die Entwicklungen in der Rechtsprechung, zum Beispiel durch das Bundesarbeitsgericht; viertens den Umgang der Religionsgemeinschaften mit dem kirchlichen Arbeitsrecht und fünftens die Glaubwürdigkeit des religiösen Selbstverständnisses. Unter Berücksichtigung all dessen könne das kirchliche Arbeitsrecht durchaus zukunftsfähig sein.
Die Anwesenheit von rund siebzig Teilnehmenden und die lebhafte Diskussion in den einzelnen Panels und auch während der Pausen zeigte, wie kontrovers das „kirchliche Arbeitsrecht“ gegenwärtig betrachtet wird.