So kennen wir die FDP. Sie will an die tägliche Höchstarbeitszeit und an die Ruhezeiten ran. Ich lehne das strikt ab, weil das die Gesundheit der Beschäftigten gefährdet und auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erschwert. Die FDP will die Gesellschaft flexibilisieren, damit sie in die digitale Arbeitswelt passt. Wir wollen eine Arbeitswelt, die sich an den Menschen orientiert. Es ist an der Zeit, echte Zeitsouveränität zu ermöglichen, denn Arbeit muss ins Leben passen.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Die nächste Rednerin ist Beate Müller-Gemmeke für Bündnis 90/Die Grünen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen!
(Stephan Brandner (AfD): „Deutsche demokratische Altfraktionen“ heißt das!)
Hier ist sie wieder, die FDP, so wie wir sie aus der Zeit vor der Ampel kennen, mit einem Gesetzentwurf, den wir auch schon kennen, aus dem Jahr 2018.
(Johannes Vogel (FDP): Ja, das ist das Problem! Wir verlieren Zeit!)
Es geht wieder um das Arbeitszeitgesetz; es soll moderner, es soll flexibler werden. Doch in Wirklichkeit entstehen mehr Belastung, mehr Stress und weniger Schutz für die Beschäftigten.
Und Herr Reichel, die Idee, dass längere Arbeitszeiten wirtschaftliche Probleme lösen könnten, ist nicht nur kurzsichtig, sondern ignoriert vor allem die Wünsche der Beschäftigten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Markus Reichel (CDU/CSU): Nee! Es geht genau um die Wünsche der Beschäftigten! Dirigieren Sie doch nicht die Leute! Wir wollen mehr Freiraum!)
Die FDP und übrigens auch die Union, beide wollen die tägliche Höchstarbeitszeit durch eine wöchentliche Höchstarbeitszeit ersetzen. Und konkret heißt das, Beschäftigte sollen künftig eben länger als zehn Stunden arbeiten dürfen, und auch die Ruhezeiten sollen verkürzt werden können.
(Dr. Markus Reichel (CDU/CSU): Wer hat das gesagt?)
Gleichzeitig behauptet die FDP felsenfest, dass niemand deswegen länger arbeiten muss. Aber genau darum geht es doch. Warum müsstet ihr denn sonst das Arbeitszeitgesetz verändern?
(Otto Fricke (FDP): Nein! – Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Sie wollen es halt nicht verstehen!)
Der Arbeitstag soll flexibler und damit auch länger werden, mal 10 Stunden, mal 12 Stunden, mal 13 Stunden, vielleicht mal nur 6 Stunden, je nachdem, wie es dem Unternehmen gerade passt.
(Otto Fricke (FDP): Wer dann arbeitet, wenn er kann, ist auch produktiver in gleicher Zeit! Das ist ganz einfach! – Dr. Markus Reichel (CDU/CSU): Mit dieser Denke haben Sie den Wirtschaftsstandort kaputtgemacht!)
Modern klingt das nicht, sozial ist es auch nicht, und Freiheit entsteht dadurch schon gar nicht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Markus Reichel (CDU/CSU): Da meinen Sie Ihre Rede, oder?)
Und dann kommt das Argument: Es geht ja nur mit dem Tarifvertrag. – Lieber Johannes Vogel, genau darüber haben wir bei den Koalitionsverhandlungen diskutiert. Mit so einer gesetzlichen Änderung geraten die Gewerkschaften in ein Dilemma; denn natürlich fordern die Arbeitgeber längere Arbeitszeiten
als Gegenleistung für bessere und höhere Löhne. Das schwächt die Verhandlungssituation der Gewerkschaften, und das kann wahrlich nicht Sinn von Tarifverträgen sein.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
FDP und Union ignorieren auch wissenschaftliche Studien: Längere Arbeitszeiten und verkürzte Ruhezeiten machen krank. Ab der achten Arbeitsstunde steigt das Unfallrisiko,
(Wilfried Oellers (CDU/CSU): Wir reden nicht von längeren Arbeitszeiten! Wir reden von der Lage der Arbeitszeit!)
und ab der sechsten Stunde, Herr Oellers, sinkt die Konzentration und damit auch die Produktivität. Politik darf wissenschaftliche Erkenntnisse nicht einfach beiseiteschieben,
(Ulrike Schielke-Ziesing (AfD): Hört! Hört!)
und vor allem ist der Gesundheitsschutz nicht verhandelbar, auch nicht mit einem Tarifvertrag.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Markus Reichel (CDU/CSU): Genau das Richtige für die kleinen und mittleren Unternehmen! Denken Sie an den Mittelstand!)
Eine aktuelle Studie der Hans-Böckler-Stiftung zeigt auch klar: Unterbrochene Arbeitszeiten – also an Tagen, an denen mal gearbeitet wird, mal Kinder betreut werden und dann abends der Laptop noch mal aufgeklappt wird – belasten die Beschäftigten. Der ständige Wechsel zwischen Tätigkeiten – Arbeiten, Spielen, Kochen, Hausaufgaben, Arbeiten – erhöht den Stress und führt unweigerlich zu mehr Krankheitstagen. Bei der Arbeitszeit geht es also zum einen um die Leistungsfähigkeit, aber vor allem um die Gesundheit der Menschen. Gute Arbeit braucht deshalb Schutz, klare Regeln und vor allem Zeit zum Leben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Die Forderungen der FDP schaffen auch keine Freiräume für Familie und Beruf. Im Gegenteil: Wer plötzlich zwölf Stunden am Tag arbeiten soll, hat weder Zeit für Kinderbetreuung noch für Hausarbeit.
(Otto Fricke (FDP): Und das entscheidet ihr? – Pascal Kober (FDP): Lassen Sie doch die Leute selbst entscheiden! – Gegenruf der Abg. Gabriele Katzmarek (SPD): Es gibt in den Unternehmen solche Entscheidungen! Ich weiß nicht, wo Sie leben!)
Und mit unberechenbaren und wechselnden Arbeitszeiten wird es noch schwieriger, Arbeit und Familie unter einen Hut zu bekommen. Wer, bitte schön, arbeitet in dieser Situation länger? Natürlich die Männer. Und damit verstärken die Pläne der FDP genau die Ungleichheiten, die wir doch endlich überwinden wollen. Eine Politik, die alte Rollenmuster zementiert, brauchen wir definitiv nicht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)
Was wir wirklich brauchen, ist Zeitsouveränität; das bedeutet, Arbeitszeitmodelle und eine Arbeitszeitkultur, die sich an den Wünschen der Beschäftigten orientieren, beispielsweise eine Familienarbeitszeit, bei der beide Elternteile 32 Stunden arbeiten, oder eben die Viertagewoche, die mehr Zeit für Familie, Ehrenamt und Erholung schafft.
(Otto Fricke (FDP): Oder die Dreitagewoche! Oder die Zweitagewoche! – Wilfried Oellers (CDU/CSU): So viel zur Leistungsbereitschaft!)
Bei der Zeitsouveränität geht es auch um die Lage der Arbeitszeit, also beispielsweise darum, dass Beschäftigte regelmäßig einen freien Nachmittag brauchen, weil sie sich um ihre alten Eltern kümmern wollen.
(Dr. Markus Reichel (CDU/CSU): Sie machen reine Schönwetterpolitik!)
Dazu gehört natürlich auch das Recht auf Homeoffice und mobiles Arbeiten mit klaren Regeln und fairen Absprachen. Zeitsouveränität ist wichtig; denn Arbeitszeit ist auch Lebenszeit.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Die FDP will die Gesellschaft flexibilisieren, damit sie in die digitale Arbeitswelt passt. Wir aber wollen eine Arbeitswelt, die sich an den Menschen orientiert. Das ist dann auch eine Antwort auf den Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel; denn wenn Arbeit besser ins Leben passt, dann werden mehr Frauen arbeiten, und die Frauen, die heute schon arbeiten, können dann auch mehr arbeiten. Ich denke, Sie alle kennen die Zahlen: Wenn heute alle Frauen mit Kindern unter sechs Jahren so arbeiten könnten, wie sie wollen, dann würden rund 840 000 Frauen wieder in den Beruf einsteigen.
(Dr. Markus Reichel (CDU/CSU): Deswegen: flexiblere Arbeitszeiten! Danke für das Argument! – Gegenruf der Abg. Gabriele Katzmarek (SPD): Stichwort „Kinderbetreuung“! Aber da waren Sie wahrscheinlich noch nie für verantwortlich! – Gegenruf des Abg. Dr. Markus Reichel (CDU/CSU): Das ist aber jetzt eine nette Bemerkung!)
Wenn Arbeit also ins Leben passt – für alle: für Frauen, für Männer -, dann steigert das die Produktivität, reduziert das die Krankentage, verbessert das die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und erhöht das die Lebensqualität. Und davon profitieren dann alle: die Menschen, die Unternehmen und auch unsere Gesellschaft.