Jahrelang hat sich die Fleischbranche geweigert, einen Tarifvertrag zu verhandeln. Jetzt – kurz vor der Einführung des gesetzlichen Mindestlohn hat sie einen Mindestlohntarifvertrag auf den Weg gebracht und der wird jetzt ins Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen. Das ist gut, aber dennoch zu wenig, denn die Arbeitsbedingungen in der Branche sind miserabel.
Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Die nächste Rednerin ist die Kollegin Beate Müller-Gemmeke von Bündnis 90/Die Grünen.
Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!
Unlängst saß ich abends tatsächlich einmal auf dem Sofa und habe mir als Tatort-Fan eine Wiederholung angeschaut, und zwar Schweinegeld. Da geht es um Mord in einem Schlachthof. Dieser Krimi war nicht nur spannend; er zeigte vor allem eine unsägliche Realität in Deutschland. Damit ist nun endlich Schluss, zumindest bei den Dumpinglöhnen. Endlich wurde in der Fleischbranche wenigstens ein Mindestlohn vereinbart. Und der wird jetzt auch zügig in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz übernommen. Das haben wir Grüne schon lange gefordert, und deshalb unterstützen wir natürlich den Gesetzentwurf der Bundesregierung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Auf den ersten Blick scheint es, als ob diese Übergangsregelung beim Mindestlohn zumindest in dieser Branche die Tarifautonomie stärkt. Schlussendlich wird sich das aber erst in der Zukunft zeigen. Wenn die Arbeitgeber der Fleischbranche diesen Mindestlohntarifvertrag nur auf den Weg gebracht haben, damit sie trotz des gesetzlichen Mindestlohns noch eine Weile niedriger entlohnen können, dann wäre diese Ausnahme fatal. Die Arbeitgeber müssen die Zeit jetzt natürlich nutzen und in weiter gehende Tarifverhandlungen einsteigen. Natürlich muss es auch um höhere Löhne gehen. Passiert hier nichts, dann war die Übergangsregelung lediglich ein Geschenk an die Branche, und das wäre nicht akzeptabel.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Neben den niedrigen Löhnen geht es natürlich auch um die Arbeitsbedingungen, und die sind miserabel. In NRW beispielsweise wurden bei zwei Dritteln der kontrollierten Betriebe massive Arbeitsschutzmängel festgestellt. Die Arbeitszeiten in der Branche sind katastrophal: 13 Stunden am Stück am Fließband sind häufig Normalität. Die Gesundheitsvorsorge ist völlig unzureichend. Arbeitsunfälle sind an der Tagesordnung, und die fürchterlichen Zustände in den Unterkünften der Beschäftigten sind ebenfalls bekannt. Daher muss die Arbeitsministerin auch auf die Arbeitgeber Druck machen, und vor allem muss es effektive Kontrollen geben; denn alle Beschäftigten, auch in der Fleischbranche, haben das Recht auf gute Arbeitsbedingungen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)
Was für die Menschen nicht gut ist, schadet auch den Tieren. Wenn Bandgeschwindigkeiten aus wirtschaftlichen Gründen immer schneller werden, dann bleiben nur noch wenige Sekunden, um ein Tier zu betäuben und in Würde zu töten. Jährlich werden so in Deutschland 770 Millionen Tiere geschlachtet und wegen der enormen Geschwindigkeit eine nicht unbeträchtliche Anzahl ohne jegliche Betäubung. Auch diese Probleme muss die Bundesregierung endlich in den Blick nehmen; denn echter Tierschutz sieht anders aus.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Halina Wawzyniak (DIE LINKE))
Aber jetzt wieder zurück zu den Menschen und zum Tatort Schweinegeld. In dem Film wird der Kommissar durch den Betrieb geführt. Er fragt nach den Beschäftigten. Die Sekretärin antwortet ganz selbstverständlich und kurz: Das sind nicht unsere Arbeiter. Genau so ist es im echten Leben – es wurde schon angesprochen: Viele Beschäftigte kommen aus Rumänien oder Bulgarien, sie arbeiten unter menschenunwürdigen Bedingungen, sie schlachten und zerlegen tagtäglich Tiere im Akkord. Wenn sie überhaupt einen Arbeitgeber haben, dann arbeiten sie teilweise für dubiose Firmen. Ihr Arbeitsverhältnis wird getarnt als Werkvertrag. – Auch das ist unsägliche Realität in Deutschland. Hier muss die Bundesregierung endlich tätig werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Im Koalitionsvertrag steht zwar, dass die Bundesregierung gesetzeswidrige Werkverträge verhindern will; bisher sind das aber nur spröde Worte und Pläne für das nächste Jahr.
(Katja Mast (SPD): Und was ist mit dem Mindestlohn?)
Wenn durch zweifelhafte Werkvertragskonstruktionen immer mehr Firmen auf demselben Betriebsgelände arbeiten, dann zersplittern die Belegschaften – zulasten der Beschäftigten, der Betriebsräte, der Gewerkschaften. Die Ministerin will die Tarifautonomie stärken. Wenn sie das wirklich ernst meint, dann muss endlich Schluss sein mit diesem Missbrauch von Werkverträgen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Mein Fazit ist also: Der Mindestlohn in der Fleischbranche ist richtig und auch wichtig; aber er reicht nicht aus. Notwendig sind bessere Arbeitsbedingungen und auch klare Grenzen für Werkverträge. Notwendig sind vor allem effektive Kontrollen, gerade in dieser Branche; Herr Schiewerling, Sie haben es eben ausgeführt. Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit, die letztlich alle Mindestlöhne kontrollieren muss, hat aber schon heute zu wenig Personal, und mehr Personal ist auch nicht geplant. Hier muss die Arbeitsministerin beim Finanzminister endlich klare Kante zeigen; denn ein Mindestlohn nur auf dem Papier – das wäre nicht akzeptabel.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)