Ich bleibe aktiv und werde mich weiterhin engagieren. Allerdings nicht mehr im Bundestag, sondern wieder an der Basis. Vier Wahlperioden in Berlin sind genug. Ich habe lange mit mir gerungen und diese Entscheidung ist mir nicht leichtgefallen. Denn die grüne Sozial- und Arbeitsmarktpolitik ist mir ein besonderes Anliegen. Aber die Entscheidung steht: Ich werde nicht mehr für den Bundestag kandidieren. Meine Beweggründe können hier nachgelesen werden:
Zum Nachlesen – meine Entscheidung
Zurück an die Basis
Ich habe mich 16 Jahre lang im Bundestag und in der Bundestagsfraktion für eine starke und erkennbar grüne Sozial- und Arbeitsmarktpolitik eingesetzt. Es war mir auch immer eine Ehre, als Bundestagsabgeordnete unsere Demokratie ein Stück weit mit Leben zu füllen und sie in letzter Zeit auch als Grundlage für eine gerechte und lebenswerte Zukunft zu verteidigen. Jetzt habe ich mich dazu entschieden, bei der kommenden Bundestagswahl nicht mehr zu kandidieren.
Diese Entscheidung ist mir nicht leichtgefallen. Ich habe viel Zeit dafür gebraucht und heftig mit mir gerungen. Der Grund: ich mache leidenschaftlich gerne Politik. Ich bin durch und durch Fachpolitikerin und möchte durch gute, progressive Gesetze das Zusammenleben in unserer Gesellschaft gestalten. Es soll gerecht zugehen und alle Menschen brauchen Chancen und Perspektiven. Mein Ziel war immer, Ökologie und Soziales miteinander zu verbinden. Voraussetzung für eine gute und auch wahrnehmbare Politik war für mich immer die Vernetzung mit den Gewerkschaften, Sozialverbänden und Kirchen und der Austausch mit den Menschen vor Ort. Das wird mir alles fehlen. Das spüre ich schon heute.
Meine drei Legislaturperioden in der Opposition waren von vielfältigen Herausforderungen geprägt. Bankenkrise, die steigende Zahl an Geflüchteten und die Pandemie – das waren Themen, für die es keine Blaupausen gab, die wir aber als grüne Bundestagsfraktion gut beantwortet haben. Spürbar anders wurde das Klima im Bundestag mit dem Einzug der AfD. Und das hat sich bis heute nicht verändert. Die Verbreitung von rassistischem Gedankengut im Bundestag ist für mich bis heute nur schwer zu ertragen.
In der Opposition haben wir in allen Bereichen – insbesondere auch für Arbeit und Soziales – eine grüne Programmatik entwickelt, die sich sehen lassen kann und auf die wir auch stolz sein können. Entsprechend gut war aus meiner Sicht dann auch der Ampel-Koalitionsvertrag, auch wenn sich viele Probleme im Dreierbündnis bereits abgezeichnet haben. Mit dem heimtückischen Angriff von Russland auf die Ukraine kam eine weitere große Herausforderung für die Koalition hinzu.
Im Bereich Arbeit und Soziales war und bleibt es in der Koalition schwer. Wir konnten zumindest ein paar wenige wichtige Reformen auf den Weg bringen. Der Mindestlohn wurde auf 12 Euro erhöht. Beim Bürgergeld haben wir zentrale Verbesserungen durchgesetzt und die Aus- und Weiterbildung deutlich gestärkt. Andere Themen, die mir ein Anliegen sind, werden entweder blockiert oder einfach nicht auf den Weg gebracht.
Gleichzeitig gibt es Debatten, die fast nicht auszuhalten sind. Da ist beispielweise der Umgang mit der Flüchtlingspolitik. Die Merz-CDU überschlägt sich mit immer schärferen Forderungen, wie Grenzkontrollen, Zurückweisungen und Leistungskürzungen. Die gesellschaftliche Debatte, die so entsteht, ist undifferenziert und ohne Herz. Vor allem wird diese Debatte falsch geführt. Denn Probleme bei der Sicherheit können nicht mit der Asyl- oder Migrationspolitik gelöst werden. Und Probleme in den Kommunen werden so auch nicht gelöst. Es wird sich noch zeigen, wo Grüns in dieser Debatte tatsächlich die Stoppschilder aufstellen wird. Für mich ist der Schutz von Geflüchteten und das Recht auf Asyl eine historische und humanitäre Verpflichtung, die nicht verhandelbar ist.
Auch die Debatte um das Bürgergeld hat sich verschärft und ist mittlerweile toxisch. Es werden Behauptungen und Zahlen verbreitet, die falsch sind. Erwerbslose werden stigmatisiert und unter Generalverdacht gestellt. Die Debatte spaltet und spielt die Menschen gegeneinander aus. Das macht etwas mit den betroffenen Menschen und auch mit unserer Gesellschaft. Es kommt etwas ins Rutschen, wo Solidarität notwendig wäre.
Diese Debatten machen auch etwas mit mir. Denn hier geht es um Menschen, um ihre Würde und um den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die Debatten verändern die Stimmung im Land und das führt dazu, dass gute Reformen, wie das Bürgergeld, immer weiter zurückgedreht werden sollen. Ich bin pragmatisch genug, um Kompromisse einzugehen und kann dann auch gut dazu stehen. Die politische Richtung beim Bürgergeld kann ich aber nicht mitgehen. Das Bürgergeld ist eine Reform, für die ich lange gekämpft habe. Die undifferenzierte und teilweise menschenverachtende Debatte, die rund um das Bürgergeld entstanden ist, macht mich fassungslos. Das fasst mich an und geht mir arg unter die Haut.
Deshalb ist es jetzt nach 16 Jahren der richtige Zeitpunkt, nicht mehr für den Bundestag zu kandidieren. Ich mache Platz, aber gleichzeitig engagiere ich mich natürlich weiter. Vor meiner Zeit im Bundestag war ich vor Ort aktiv – bei Grüns, 25 Jahre in der Kommunalpolitik, beruflich ganz konkret im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Und dorthin, an die Basis, gehe ich zurück. Ich werde mich grünintern und zivilgesellschaftlich engagieren. Ich werde mich mit meinen politischen Erfahrungen, mit meiner Haltung und Leidenschaft und mit meinen Ideen an anderer Stelle einsetzen für eine wehrhafte Demokratie, für die Menschen in der Ukraine und insbesondere für mehr Gerechtigkeit, Solidarität und Zusammenhalt. Und grünintern werde ich weiter dafür streiten, dass Klimapolitik immer mit einer Politik für mehr soziale Gerechtigkeit verbunden wird.
Mit grünen Grüßen
Beate Müller-Gemmeke